Der Vergleich von Schreiberhänden gehört zu den wichtigsten paläographischen Arbeitstechniken. Mit Hilfe dieser Methode können viele Forschungsfragen beantwortet werden.
Film: Schriftvergleich
Schriftvergleich
Geistlicher Schreiber mit einer Feder (Staatsbib. Bamberg)
Wenn man Schriftproben derselben Schriftart hinsichtlich ihrer Entstehungs-
zeit und ihrer geographischen Herkunft differenzieren möchte, muss man sie auf
bestimmte Merkmale hin vergleichen. Entscheidend ist hierbei die Kenntnis der
jeweiligen Spezifika, die eine Schriftart in ihren jeweiligen Entwicklungsstadien
auszeichnen. Dies können einzelne Stilelemente, die Proportionen der Schrift (wie
beispielsweise das Verhältnis von Ober-, Mittel- und Unterlängenbereich), der
Schriftwinkel (d. h. der Winkel zwischen den Buchstabenschäften und der Grundlinie),
das Auftreten bestimmter Ligaturen und Abkürzungen oder die Art der Auszeichnungsschriften
sein.
Schreiberhände
An der Erstellung einer Handschrift waren in der Regel mehrere Schreiber beteiligt,
die ihre Vorlage entweder gleichzeitig lagenweise abschrieben oder sich
nacheinander abwechselten. In vielen Fällen ist nicht auf den ersten Blick erkenntlich,
an welchen Stellen die eine Hand aufhört und die andere beginnt. Schwierig
zu beantworten ist die Frage nach dem Handwechsel bei Codices, die auf ein einheitliches
Schriftbild hin angelegt waren. Bei der Erstellung solcher Bücher
arbeiteten
die Schreiber mit stark normierten kalligraphischen Schriften, die kaum
individuelle Züge erkennen lassen. Ein erster Schritt kann eine Untersuchung der
Buchstaben, besonders der kompliziert gebauten, und ihrer Struktur sein. Doch
bringt der Einzelbuchstabenvergleich nicht immer ein eindeutiges Ergebnis; in
solchen Fällen können jedoch Ligaturen, Interpunktions- und Abkürzungszeichen
den einzelnen Schreiber verraten.
Aber auch bei einfacheren Gebrauchshandschriften, die nur mittleres bis niedriges
kalligraphisches Niveau aufweisen, kann die Differenzierung von Schreiberhänden
schwerfallen, besonders wenn ein und derselbe Schreiber mehrere Niveaustufen
einer Schriftart oder verschiedene Schriftarten beherrscht. Häufig greifen
Schreiber zudem - gerade im Spätmittelalter - auf ein ganzes Repertoire von Buchstabenformen
auch innerhalb ein und derselben Schriftart zurück. Außerdem kann
sich im Laufe des Schreibprozesses eine Schrift verändern, wenn beispielsweise
durch Ermüdung des Schreibers der Duktus großzügiger und kursiver wird, wodurch
sich die Morphologie der einzelnen Buchstaben verändern kann. Trügerisch
kann auch der Wechsel von Feder und Tinte sein, denn eine solche "Bruchstelle"
muss nicht automatisch einem Schreiberwechsel gleichkommen.
Nahtstelle zweier Lagen (BSB München)
Autographen
Urkunde zur Abtswahl mit mehreren Unterschriften
Schließlich ist Schriftvergleich bei der Erforschung von Autographen von zentraler
Bedeutung, etwa wenn man die Schriftentwicklung einzelner Persönlichkeiten
nachvollziehen möchte. Das Koordinatensystem bilden hierbei einwandfrei
datierte Schriftproben: Bücher, die durch Kolophone sicher zu bestimmen sind,
oder Urkunden und Briefe mit Datierungszeilen.
In unserem Film werden oben genannten Themenbereiche anhand von Fallbeispielen
aus dem Früh-, Hoch- und Spätmittelalter näher erläutert.
Zitiervorschlag
Julia Knödler: Schriftvergleich, in: Mathias Kluge (Hg.), Mittelalterliche Geschichte. Eine digitale Einführung (2014). URL: http://knoedler-02.mittelalterliche-geschichte.de
Fördergeber: GHI / University of Alberta in Edmonton (Kanada) / DFG (WAP - Großgeräte der Länder) / Kurt-Bösch-Stiftung / Universität Augsburg / Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg / Bankhaus Hafner / Sin Cinema Filmproduktion